Heiko Neumeister

 

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Bernh. Joh. Blume: "Problem Malerei"
Katalogtext anlässlich einer Ausstellung im Kunstverein Gütersloh

Dies ist der Katalog zu einer MALEREI-Ausstellung, in der die ästhetische Konvention, Bilder zu malen, - d.h. Leinwände oder andere, meist viereckig gehaltene Flächen in bestimmter Form, Struktur und Anordnung mit Farben zu bedecken, um hierüber objektive oder subjektive Außen- oder Innenwelten zu artikulieren - ausdrücklich in Frage gestellt und zum Problem gemacht wird

Dies Konzept bestimmt auch das Layout von Plakat, Einladungskarte und Katalog: Das in der grafischen Vorgabe noch leere Bildviereck verdeckt zum Teil das mit MALEREI bezeichnete Bildherstellungsverfahren. Das Layout kennzeichnet so die ästhetische Konvention MALEREI bereits als problematisch.

Die Problematik des klassischen Bildmediums MALEREI ist in der Tat eine kunsthistorische Gegebenheit. Jede Generation von Künstlern setzt sich ausdrücklich oder unausdrücklich damit auseinander und dazu ins Verhältnis. Diese, als "Krise der MALEREI" apostrophierte Problematik bearbeiten, - individuell sehr unterschiedlich, auch die hier ausstellenden jungen Künstlerinnen und Künstler.

Auswahl und Einladung orientierte sich an eben jener, - hier nicht auszuführenden "Krisensymptomatik" der MALEREI. Sie ist aber ohnehin, - gewollt oder ungewollt, in allen Arbeiten der jungen Generation von Bildherstellern sichtbar. Sie wird also in dieser Ausstellung nicht eigens illustriert. Als zeitgenössische sind alle Arbeiten ohnehin Symptom, Reflex und selbst wieder Ursache und Fortschreibung jener Krise.

Ein Kriterium für Auswahl und Einladung der Künstler mußte dann aber sein, ob und wie jenes kunsthistorisch längst aufgezeigte Dilemma zwischen Historizität und Aktualität des Mediums individuell bearbeitet bzw. produktiv ignoriert wird. Denn daß es auch für junge Künstler immer noch aktuell, ja geradezu akut ist, sich in diese ehrwürdige Tradition einzuschreiben, will diese Ausstellung zeigen.

Die produktive Bearbeitung dieses Dilemmas hat selbst schon Tradition. Sie geht bereits aufs Ende des 19. Jahrhunderts zurück, sie wird virulent mit dem Aufkommen der Fotografie und erfährt eine radikale und reflektierte Bearbeitung bereits in den 10er Jahren des gerade zurückgelassenen 20. Jahrhunderts. Ich erinnere an de Stijl, an das Bauhaus und an den russischen Konstruktivismus, dessen MALEREI‑Diskurs sowohl restaurative Züge zurück ins Religiöse und Numinöse aufweist, sich aber andererseits auch säkular und funktionalistisch artikuliert. Wir alle kennen andere dialektische Zuspitzungen der modernen Kunst, in denen sich die MALEREI pathetisch‑expressiv oder avantgardistisch‑dysfunktional, archaisierend oder ironisch distanziert, aber fast immer zugleich mit dem Odium des Authentischen darstellt.

Im Digital‑Zeitalter ihrer Reproduzierbarkeit haben sich dann alle generationsspezifischen Stile und Ismen der MALEREI noch ein weiteres Mal relativiert. Anscheinend sind die Bilder aller Stile und Epochen nun über digitalisierte Dokumente per Internet an jedem Ort und zu jeder Zeit individuell verfügbar.

Es gibt natürlich handfeste und insbesondere leibhaftige Gründe, sich nicht mit einer lediglich virtuellen und immateriellen Verfügbarkeit von Gemälden und Bildern abzufinden. Deshalb provoziert die bloß digitale Virtualität der Bilder einmal mehr die individuelle, die leibhaftige und materiale Aneignung des MALEREI-Diskurses. Es wird also weitergemalt: mit oder ohne Fotografie, gegen und - das ist doch sehr frappierend - gerade auch mit dem Computer.

Als der Schreiber dieses Vorworts in den 60er Jahren an der Düsseldorfer Akademie MALEREI studierte, witzelte man in der Clique um Sigmar Polke, Gerhard Richter, Blinky Palermo u. a. über eine damals sehr bekannte und vielgekaufte Serie von Gemälde-Reproduktionen auf Postkarten. Sie wurde von einem Verlag namens "Dennoch" herausgegeben und zur Unterstützung der Arbeit körperbehinderter Maler verkauft. Es war immer noch Nachkriegszeit, eine gewisse Zahl "Kriegsbeschädigter", etwa beidseitig Handamputierter, malte sich in diesen Jahren "dennoch", - z. B. mit dem Munde - zurück in eine naiv-sentimentale Idylle: Blumenstilleben, nette Landschaften, harmlose "Pörtraits", etc. Eine Verdrängungsarbeit, deren sentimentale Ergüsse wir Jungen nicht akzeptieren wollten. Mit einem Krisenbewußtsein von Kunst überhaupt konfrontiert, ironisierte man dann wohl eigene und fremde Malversuche schon einmal als "Dennoch-Malerei".

Als Manifestationen einer allerdings sehr Selbst-und-Diskurs-kritischen "Dennoch"-MALEREI können auch die in dieser Ausstellung realisierten "12 statements" verstanden werden. Sie sind aber allesamt weder naiv noch sentimental. Teilweise sind sie geradezu rabiat. Um so erstaunlicher und dankenswerter ist es, daß sich der Kunstverein Gütersloh, "ein Kunstverein in der tiefsten westfälischen Provinz", so die Charakterisierung eines Vereinsmitgliedes - eine solche Ausstellung "dennoch" zumutet. Die (Selbst)-Zumutung für die jungen Künstler, und damit auch für die engagierten Organisatoren vor Ort und die Besucher der Ausstellung besteht u. a. in der medialen und bildnerischen Vielfalt, der hier realisierten "statements". Das ist eine historische Hypothek der Moderne. Diese provozierte in immer kürzerer Folge ständige "Renovationen" und "Innovationen". Jene, leicht mißverständliche "Freiheit der Kunst" eröffnet aber nur scheinbar permanent neue bildnerische Möglichkeiten. Jede Generation ist zugleich und immer aufs neue konfrontiert mit Determinanten und Gesetzlichkeiten, die einerseits im (kunst)geschichtlich gewordenen "ästhetischen Eigen-willen" von Medium und Material liegen und andererseits im sozio-kulturell geprägten Vorstellungsleben der Subjekte.

Wie nun die jungen Künstlerinnen und Künstler diese inneren und äußeren Zwänge und ästhetischen Traditionen aneignen, verarbeiten, sich davon befreien, um sie individuell zugleich neu zu setzen, das deutet sich ein wenig bereits an in der Form, mit der sie auf die von Gabi Steinhauser und Oliver Ross entworfene grafische Struktur des Katalogs reagieren.