Heiko Neumeister

 

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Sabine Falk: "Fotografie als Sekundärmalerei -
kann die überhaupt scheitern?"

Über Heiko Neumeisters Revisiting der (Klassischen)Moderne

Heiko Neumeister scheint sich mit der Dekonstruktion von Malerei zu beschäftigen. Er setzt zu diesem Zwecke die Fotografie, den Computer und noch Einiges andere ein, über das hier im Folgenden gesprochen werden soll.

In Neumeisters Fotografien liegt eine imaginäre Schablone über der Weltansicht. Mittels eines konkreten Fotoprints wird demonstriert, welche Übereinstimmung Schablone und Weltausschnitt ergeben haben. Jene ominöse Schablone ist wie eine imaginäre Maske vor das Objektiv gesetzt.

Die Dekonstruktion folgt den Regeln eines ironischen Humors, der manchmal verzweifelt ist über dem Nicht-verlassen-können der Referenzpunkte, namentlich der Malerei der (Klassischen)Moderne. Die hat Neumeister mächtig im Griff und verlangt ihren Tribut. Neumeister münzt den Tribut um in eine endlose Bilderproduktion und versucht so, auf seine Kosten zu kommen.

Weil es kein Loslassen von der Malerei gibt, erneuert sich diese zwanghafte Abhängigkeit in immer wiederkehrenden Ablösungsversuchen, die wie in einer unabgeschlossenen Pubertät nicht gelingen wollen. Dafür mag er die Malerei zu sehr, hat sie sich doch zu sehr in sein Hirn eingefräst und bietet immerhin gangbare Modi. Was wäre ohne diese Strukturen? Vermutlich erst mal nichts.

„Die Situation lockern, erträglicher machen. Und man kann weitermachen, muss nicht aufhören.“(Zitat Neumeister)

Also bleibt er bei seiner resignierten Haß-Liebe, die so viele Kinder gebiert. Die Entgrenztheit der Produktion entschädigt für die vordergründig fehlende Eigenständigkeit. Innerhalb dieser Dialektik findet der Drang zur Autonomie vernestelte Einzelabzwackungen, schmale Pfade und Pfützen, die in ihrer Einsamkeit und Verschrobenheit auf dem Eigenen zu beharren scheinen. Der Motor ist und bleibt die Malerei: zuverlässiges Bollwerk, allerorten anerkannt. Fast alle Künstler referieren sowieso darauf. Eigentlich die Nummer sicher.

Bei der Suche nach einem Motiv schaut Neumeister seinem Alter Ego aufmerksam über die Schulter. Das nämlich bemüht sich um Malereiversuche in alltäglich vorgefundenen Stadtansichten, zum Beispiel. Wenn man schon mal die Straße entlang läuft, kann man auch gleich mal Ausschau halten nach geeigneten Projektionsflächen für „gescheiterte“ Umentwürfe moderner Malerei. Das Alter Ego versucht sich und Neumeister fängt geschickt dessen klägliches Versagen mit der Kamera ein, wie ein Journalist, der eine geheime Operation verfolgt. Er dokumentiert Ego´s Scheitern an der Regelhaftigkeit der Klassischen Moderne. Denn der Mensch, der die Hecke irreversibel mit der Gartenschere verschnitten hat, hatte dabei vermutlich keinen vermurksten Robert Ryman im Sinn.

So kommt es zu der Äußerung von Neumeister, er sei auch die Hecke.

Das Foto soll die Projektion als solche möglichst gut fassen. Wer später die Abzüge anschaut, wird den Klee von dem Picasso, den Ryman von dem Rothko unterscheiden können. Ach so, ein Klee!

Die eigene Verschrobenheit wird geübt, kultiviert und ästhetisiert. Auch die Verschrobenheit ist noch falsch(gefälscht/produziert/gemacht).

Malen mit Hilfe der Fotografie, der Malereifotograf.

Das verinnerlichte Malereiprogramm wird scheinbar diffamiert über die „sowieso immer schon verunreinigte“(Zitat Neumeister) Projektionsfläche. Die unkontrollierbare Verunreinigung der im Außen vorgefundenen Projektionsfläche hilft bereits durch ihre fehlende Perfektion, das verinnerlichte Malereiprogramm aufzubrechen. In dieser Dialektik ist kein Scheitern möglich. Nur ein radikaler Ausstieg aus diesem System, bzw dessen radikale Beendigung. Dies ist aber keineswegs beabsichtigt.

Die Malerei der (Klassischen)Moderne scheint hermetisch abgeschlossen in einem Kreislauf zu flottieren, der keine Energie nach außen verliert. Ein Perpetuum Mobilé, mithin eine nicht enden wollende Energiequelle für den Motor von Neumeisters Fahrwerk.

Dieser Fahrer hat sich geübt im Fahrstil der Maler jener (Klassischen)Moderne. Dazu kommt, dass sich deren Identitäten in ihm vermischen und entgrenzen. Es war nur konsequent, den Zufallsgenerator angesichts der nun schier endlosen Fülle an möglichen Bildzusammenstellungen einzuschalten und ihn das Bild bauen zu lassen. Die Delegation der „Bildauswahl“ an eine mathematisch arbeitende Maschine sollte durch eine gesteuerte Zufallsproduktion, geregelt mit Hilfe des von Neumeister selber umgeschriebenen Programms „Painter“, das Geschmäcklerische hierbei herauskürzen.

Der Generator/ Computer/ Rechner schiebt sich dabei selber in den Vordergrund als ein Medium, das von jeder Subjektivität gereinigt, streng den Strömungen seiner Elektronik gehorcht.

Der Malerfotograf muss die Bilder nicht mehr anfassen, sie anzugucken genügt.

Der Computer ist (möglicherweise) kein originärer Produzent. Er kann verstanden werden als eine Verlängerung des Menschen im Sinne einer Prothese, eines bewunderungswürdigen Apparates, der aufgrund seiner Beschleunigung den Menschen zu paraphrasieren und zu überhöhen scheint. In dieser Überhöhung liegt ein transzendentes, religiöses Moment, das sich auf den Output des Zufallsgenerators überträgt und den bildhaft vorgeführten, unendlich variierbaren Malereizutaten eine Heiligkeit zukommen läßt, die heimlich wieder den Geniebegriff mit dem Medium der Malerei verbandelt. Der Computer belebt dort ein Potential neu, wo der klassischen Moderne die Puste ausgegangen zu sein schien.

Die Ironisierung qua schneller, computerisierter Abfolge diverser Klee´s ist nur scheinbar. Das Ausgangsmaterial, die vom Autor Neumeister in Abstimmung mit der herkömmlichen Kunstgeschichte analysierte Regelhaftigkeit z.B. eines Paul-Klee-Universums, wird als äußerst dauerlebig vorgeführt. Ohne Probleme macht dieses die Gymnastikübungen seines Sportlehrers, dem Zufallsgenerator, mit. Wenn das keine potente Demonstration ist!

Vom Computer gelernt hat Neumeister, wenn er, zwar verlangsamt durch die menschenkörpergerechte Erfassung von Weltausschnitten, das Prinzip der Diversität überträgt auf die Fotoentscheidungen vor Ort. Ohne Mühe findet er eine unendliche Anzahl von Anekdoten im Alltäglichen vor, die er, so seine Freiheit als Künstler, verknüpft mit seiner vorgefassten Sicht auf die Welt. Die ist wiederum geprägt vom Sehen in der modernen Malerei, ihrer kompositorischen Zwänge und dem Raum-im-Verhältnis-zu-den-Dingen. So ist ein Nicht-abreißen der Produktion gesichert. Allerdings zum Preis der ewigen Wiederholung und Affirmation von etwas, das bereits zum Weltkulturerbe der Unesco gehört.

Ist der Computer hier nicht der Stärkere, weil er gnadenlos die Affirmation des menschlichen Denkens vorführt, ohne auch nur den Verdacht von Eigenwilligkeit oder Autonomie aufkommen zu lassen? Lügt Neumeister sich nicht was in die Tasche, wenn er den Übertrag vom Zufallsgenerator auf die eigene Fotografenaktivität vornimmt, indem er vor die Tür geht und ja - was ist dann eigentlich? Da vor der Tür? Und welches künstlerische Konzept bringt so viele Bilder hervor?

Der Alltag seiner unmittelbaren Wohnortumgebung oder die Umgebung der regelmäßigen Ausflüge mit seinem Sohn scheinen ein unbegrenzter Fundort für Neumeisters Bildentscheidungen zu sein. Kein Jäger „schießt“ hier die Bilder, sondern ein Sammler nimmt sie mit nach Hause. Neumeister enthierarchisiert bewußt die Entscheidungskriterien in seinem Denken und seiner bildnerischen Vorstellungskraft. Er nimmt auf, was ihn gerade am meisten anspringt. Dann aber drückt er aufs Gaspedal und es geht los, mit einem geseufzten „endlich“. Neumeister ist kein konzeptueller Künstler. Er gibt der Bilddenkebene nach, welche gerade am meisten in ihm aktiviert ist. Dies kennzeichnet ihn als romantischen Künstler.

Eine Hitparade der Auswahlkriterien kann nicht festgestellt werden, eher eine Richtungslosigkeit. Wenn Neumeister mehr Energieressourcen zur Verfügung hätte, würde es jeden Tag neue Bilder geben. Deren Anzahl wird durch kein künstlerisches Konzept oder Auswahlprinzip begrenzt. Eine Radikalisierung dieser Richtungslosigkeit und die darauffolgende Inflation der Bilder werden pragmatisch ausgebremst, obwohl genau dieses den Motor für die unendliche Diversität von Neumeisters Aufnahmen darstellt.

Die Anmutung von Dokumentarfotografie entsteht z.B. über dem Fehlen von künstlicher Beleuchtung. Hauptsächlich alltägliche, unspektakuläre Stadtansichten sind zu sehen. Die selten aufgenommenen Personen sehen nicht wie bewußt manipulierte Statisten aus, auch wenn sie manchmal den Fotografen bemerkt haben. Neumeister versucht generell, ungesehen zu bleiben.

Am Computer werden später die Bildkriterien „natürlich“ noch deutlicher herausgearbeitet. Die Stangen eines Baugerüstes werden senkrecht gestellt. Das Lila von Baumschatten wird verstärkt. Der Schlammboden unter einem Bauarbeiter wird tiefschwarz eingefärbt, auf dass der Mann den Boden unter den Füßen verliert.

FotolaborantInnen sind oft nicht in der Lage, Nacharbeiten im Sinne Neumeisters zu verstehen und auszuführen. Bis heute besitzt er keinen Abzug von dem besagten Schlammboden, welcher die enträumlichende Wirkung schwarzer Flächen und Bilder repräsentiert. Denn die Standards der Fotolabore bestimmen, dass es keine tiefschwarzen Flächen geben darf. Allenfalls dürfen diese dunkel anthrazit sein, damit sie im Bild räumliche Körper bleiben und sich so ins Verhältnis setzen lassen zu allen weiteren räumlichen Gegebenheiten. Das Paradigma der Repräsentation von Raum wird in professionellen Fotolaboren über die Repräsentation von Fläche gestellt, und handele es sich auch nur um ein „Einsprengsel“ wie den schwarzen Bauboden.

Frühe Zeichnungen bilden bereits die Schablonen aus, mit deren Hilfe spätere Fotoaufnahmen gefunden werden. Es sind reduzierte und schnelle Zeichnungen, oft an langen Kneipenabenden entstanden, welche die kompositorischen Muster vorbereiten.

Neumeister arbeitet brotberuflich als Werbedesigner. Die Analyse eines Werbebildes etwa, mit dem „vorbildlichen“ Schema der Leserichtung von links oben nach rechts unten z.B., ist ihm vertraut. Ohne als Werbedesigner ausgebildet zu sein oder sich theoretisch mit Design auseinandergesetzt zu haben, kann er die Standards in seinem Job bedienen. In seinen Skizzen entwirft er die Leserichtungen künftiger, noch zu findender Fotoaufnahmen und bedient sich auch hier seines intuitiven Bildspeichers, in diesem Fall von Designkonventionen.

Die Zeichnungen sind als solche sehr konstruktiv gedacht: „Unten steht was, dann wird ein Aufbau oben aufgekragt. Das Ganze ist senkrecht und ein Zeichen.“ (Zitat Neumeister)

Aus einem Gespräch mit mehreren Personen über Haare steigt er aus, indem er währenddessen zwei „unterschiedlich lange“ (Zitat Neumeister) und senkrechte Striche parallel zueinander zeichnet. Neumeister sagt, so funktioniere auch die abstrakte Malerei. Die zwei Striche seien eine feinere Ausarbeitung dessen, worum es ginge. „In der Zeichnung geht es nicht mehr um so viel. Die Haare sind reduziert. Das hilft, die Bildauswahl zu reduzieren.“(Zitat Neumeister) An dieser Stelle ist gut zu erkennen, wie soziale und künstlerische Strategie in eins gehen.

Die Erfindung von neuen Zeichen hilft allerdings gerade nicht, die Bildauswahl zu reduzieren. Sie erhöht im Gegenteil deren Variabilität. Je mehr Zeichen es gibt, desto höher ist die Kombinierbarkeit der Zeichen untereinander.

Der abstrahierende Zeichner verkürzt das Gespräch nicht, sondern er verläßt es, indem er auf eine andere symbolische Ebene wechselt, nämlich auf die der Piktogramme in diesem Fall. Die logische soziale Verknüpfung geht verloren, denn diese Reduktionen bilden ein eigenes Reich. So sind bereits hunderte Kurzzeichen dieser Art entstanden. „Auch hier ist die Produktion wieder total uferlos. Es ist egal, ob zweimal die gleiche Zeichnung entsteht. Ganz gleich sind die sowieso nie.“(Zitat Neumeister)

Sich an die unendliche Produktion dranzuhängen verspricht das Ende aller Arbeitsstörungen.

Die Art und Weise, wie z.B. zwei Auswahlkriterien für eine Fotoentscheidung zusammenkommen, lassen mich an ein Memory Spiel denken, bei dem es allerdings niemals 2 ganz genau zueinander passende Bilder gibt. Im Moment des Aufdeckens muss schnell entschieden werden, ob 2 Bilder irgendwie halbwegs zusammen passen und dann als Paar weggelegt bzw miteinander verschränkt werden können und so die Konstruktion für eine fotografische Aufnahme abgeben. Die künstlerische Arbeit besteht also in dem Passend-machen, was niemals von alleine zueinander in Deckung kommt. Dabei operiert Neumeister mit harten Schnitten. Wie bei einer Filmmontage, die harte Wechsel aufweist. Das Switchen der Ebenen, das Zu-Schneiden des Sujets, oft gleichbedeutend mit einer Zu-Richtung, wird im Bild als bildnerische Operation sichtbar bleiben. Die BetrachterIn wird allmählich auf denselben Blick konditioniert, wie ihn der Fotograf auf die Welt hat.

Heiko Neumeisters Verdienst ist es, diesen alten Motor (Klassische) Moderne wieder gezündet bekommen zu haben und durch den Aufsatz des Zufallsgenerators und das endlose Befüllen mit neuen Benzingemischen dafür zu sorgen, dass er rund um die Uhr läuft.

Ob sich am Ende nicht doch Verschleißerscheinungen einstellen, wird man abwarten müssen.

Das Foto mit der Hecke, respektive dem verhunzten Robert Ryman, verweist auf eine mögliche nächste, künstlerische Strategie: dem skulpturalen, installativen Aufbau von „gescheiterten“ Umentwürfen moderner Malerei. Hierbei wären wieder mehrere Potenzen im Spiel: Komposition hoch Skulptur, das Ganze potenziert mit Installation, interpoliert mit Scheitern, erneutes Potenzieren mit Umentwurf. Wurzelziehen kommt nicht vor.

Im Designbereich ist die Arbeit mit dem Zufallsgenerator längst eine gängige Methode. Auch hier hängt man sich gerne an das schier endlose Kontingent, welches der Rechner eröffnet. Neue Gewänder für die alte, unveränderliche Gestalt darunter.

Kleidet Neumeister nicht die (Klassische)Moderne in stets leicht divergierende Gewänder, die, wenn „von Hand“ gemacht, ihren Reiz beziehen aus den daraus resultierenden Ungleichmäßigkeiten und den Kontrast zu den „von leichter Hand“ generierten Computer-Klee´s zu nutzen wissen ? Illustrative Effekte und das romantische Festhalten von Endlosigkeitsbildern sind keine Ausschlusskriterien.

Zitate aus einem Werkstattgespräch sollen zum Schluß den Maler in Neumeister noch einmal zu Wort kommen lassen. Da ist die Rede von Struktur, Abschneidung, Resten, Material, Farbgebung, Zwielicht, Sonnenuntergang, zentraler Fluchtpunktperspektive, dem Wunsch nach Geometrie und wie sich Geometrie und Realisierung gegeneinander ausspielen lassen, z.B. in der Robert Ryman-Hecke.

Der bemannte Rasenmäher wurde bewußt unscharf fotografiert, um den performativen Aspekt der Bildentstehung zu unterstreichen. Der Rasenmäher bewegt sich auf der Fläche und definiert sie damit als solche, während umgekehrt die Fläche durch die Scharfstellung ihrer Aufnahme und als das ruhende Element den Rasenmäher als das bewegliche Element kennzeichnet. Damit macht Neumeister den Akt der Flächenbearbeitung sichtbar.

Dies entspricht der Bewegung des Pinsels auf der ruhenden Leinwand.

Wie Leinwände bewegt der Maler auch seine Fotografien hochkant und senkrecht an die Wand, nachdem sie oft als vor ihm liegende Motive aufgenommen wurden, in der Aufsicht von einer Brücke aus etwa, darin an den Perspektivenwechsel des Konstruktivismus erinnernd.

Heiko Neumeister wird kein Ende der Produktion finden können und wir können gespannt sein auf die Auswirkungen seiner Strategie der Diversität, die zusammenzuhalten wohl mehr Kraft kostet als ein wohltemperiertes Sujet der alten Sorte.